Mit der Empfehlung der häufigen Beichte ist psychologisch schon eines klargestellt: Dass jeder Mensch Fehler macht, ja jeder sündigt. Es ist also normal und menschlich, Sünden zu begehen, und es gibt auch ein Mittel zur Reinigung: die Absolution nach der persönlichen Umkehr.
Das allein ist schon eine befreiende Botschaft für viele Menschen, die keinen Fehler an sich selbst wahrnehmen wollen. Zur theologischen Bedeutung – der Vergebung der Schuld durch Gott – kommt die psychologische Wirkung: die Möglichkeit, das Drückende der Schuldgefühle abzuwerfen.
Durch Integration in das Ich („Auch das bin ich”) löst sich die Schuld mit Bekenntnis und Vergebungsbitte. Dass es so etwas wie Beichte gibt, macht es überhaupt erst möglich, dass sich der Mensch auf die – letztlich psychodynamisch riskante – Selbstreflexion, Reue und Umkehr einlassen kann.
Das Aussprechen der eigenen Schuld vor einem bevollmächtigten Dritten – ohne Beschönigen, Herumgerede und Fremdbeschuldigungen – ist deshalb aus gläubiger Sicht heilsrelevant und psychologisch gesehen heilsam.
Ich habe gesündigt
Das mutige „Ich habe gesündigt” klärt die eigene Beurteilung der Tat, kann sich von ihr distanzieren und sie gleichzeitig unverdrängt, aber bewältigt stehen lassen. Schuld wird man eben genau dadurch los, indem man sie annimmt.
Indem man sich auf die Infragestellung seiner selbst einlässt, setzt man einen psychodynamisch heilsamen Prozess in Gang. Der Beichte folgt die Wiedergutmachung erkannter Schuld (Sühne), die wiederum zu einer vertieften Selbsterkenntnis und Reue führt. Reue ist innere Umkehr und Neuorientierung.
Dadurch entwickelt sich gegen die – letztlich unvernünftige – Sünde eine affektive Aversion, die mit größerer Leichtigkeit von der Sündenanhänglichkeit Abstand gewinnen lässt. Man kann durchaus sagen, dass dieser Prozess die persönliche Freiheit vergrößert.
Denn die Gewöhnung an die Sünde wirft den Schleier des Unbewussten über die eigene Schlechtigkeit: der lasterhafte Mensch wähnt sich fehlerfrei, der Heilige hat eine gesunde Sensibilität dafür entwickelt.
Freuds Scharfsinn
Die Beichte ist psychologisch gesehen die Möglichkeit, durch mutige Gewissenserforschung in die Abgründe des Halbbewussten und sogar Unbewussten herabzusteigen und schwelende innere Konflikte durch bewusstes pointiertes Aussprechen vor einem Vertreter Gottes zu neutralisieren.
Sigmund Freud hat scharfsinnig beschrieben, dass die neurotische Kränkung dort Platz greift, wo das idealisierte Selbst sich zu sehr vom realen Ich entfernt. Das heißt, je mehr sich jemand ein geschöntes Bild von sich selber zurechtlegt, umso eher ist er kränkbar, wenn er mit der Realität konfrontiert wird.
Durch das Sündenbekenntnis können so die schmerzhaft verdrängten Anteile des Nicht-sein-Können-weil-Nicht-sein-Dürfens der eigenen Schuld wieder heilsam in das Bewusstsein integriert werden, wodurch auch der Neurotizismus einer Person reduziert wird, weil weniger Verdrängungsarbeit notwendig ist.
Selbstbewusstsein
Es neurotisiert nicht eine hohe moralische Forderung, sondern der Selbstanspruch auf Fehlerlosigkeit, der keine Fehlerdefinition mehr zulassen kann. Erst das Sakrament der Versöhnung macht die christliche Forderung lebbar.
Christliche Vollkommenheit setzt das eigene Sündenbekenntnis voraus. Ein Mensch, der regelmäßig beichtet, erreicht im Normalfall einen hohen Grad an Selbsterkenntnis, weil er die Fähigkeit entwickelt, seine Emotionen, Gefühle, Leidenschaften und Taten zu hinterfragen und mit seiner Vernunft zu beurteilen.
Damit muss er auch die eigene Tat nicht mehr als schicksalshafte Begebenheit erleben, sondern kann sie einer rationalen Beurteilung unterziehen. Das führt zu einem gesunden Selbstbewusstsein, das im Bewusstsein der Gotteskindschaft wurzelt.
Daraus resultiert letztendlich die Haltung einer großen Dankbarkeit gegenüber einem gütigen Gott, der Sünde verzeiht. Solche Menschen können dann auch selber besser verzeihen und leben dadurch insgesamt froher.
Der Artikel wurde in der Wochenzeitung der Erzdiözese Wien Der Sonntag veröffentlicht.