kath.net: Herr Dozent, Ihr Institut organisiert nach „Psychotherapie und Beichte“ im Stift Heiligenkreuz plötzlich die Tagung „Islamophobie und verwandte Phänomene“ in der Wiener Moschee. Das hat manche verunsichert. Haben Sie die Seiten gewechselt?
Bonelli: (lacht) Naja, ich glaube nicht, dass das gleich ein Seitenwechsel ist. Einerseits heißt die Tagung „Das Unbehagen mit der Religion“.Das heißt, der antireligiöse Affekt gegen alles Religiöse steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betrachtung, nicht der Islam. Andererseits ist das tatsächlich eine islamfreundliche Fachtagung, denn unser Institut ist nicht konfessionell gebunden, sondern schätzt jede Religiosität und untersucht psychologische Aspekte in diesem Zusammenhang. Bereits auf unserem ersten Kongress im Jahr 2007 sind insgesamt zehn Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen zu Wort gekommen.
Sind Sie nicht ein katholischer Psychiater?
Bonelli: Nein, so würde ich mich nicht bezeichnen. Ich finde den Begriff „katholischer Psychiater“ unglücklich, denn ich biete ja nicht so etwas wie „katholische Therapie“ an. Die gibt es nämlich gar nicht. Die katholische Lehre beinhaltet eben keine eigene Psychotherapieschule. Ich bin ein überzeugter Katholik, der Psychiater ist. Aber ich zwinge meine Weltsicht meinen Patienten nicht auf. Natürlich ist meine Psychotherapie kein Widerspruch zum Glaubensleben meiner Patienten. Aber das gilt für katholische ebenso wie für freikirchliche und auch muslimische Klienten. Ich wertschätze den persönlichen Glauben und respektiere die persönliche Freiheit derer, die zu mir als Arzt kommen. Zu oft habe ich erfahren müssen, wie brutal manche unprofessionellen Therapeuten sich in das Glaubensleben ihrer Klienten einmischen. Das halte ich für unethisch.
Aber legitimiert nicht jeder gemeinsame Kongress mit Muslimen in religiösen Fragen den Islam und vermittelt den Eindruck, es könne Gemeinsamkeiten in inhaltlichen Fragen mit dem katholischen Glauben geben?
Bonelli: Einerseits ist das eben kein Kongress über religiöse Fragen, sondern ein psychologischer, der den antireligiösen Affekt untersucht, der heute allen religiösen Menschen in Europa widerfährt. Auch den Muslimen. Andererseits sagt Papst Benedikt XVI. in seinem neuen Interviewbuch „Licht der Welt“ über den Islam: „Gemeinsam ist uns, dass wir große Werte verteidigen – den Glauben an Gott und den Gottesgehorsam“ (Seite 124). Das heißt also, dass es durchaus Gemeinsamkeiten in inhaltlichen Fragen gibt. Ich bin sehr froh, gemeinsam mit muslimischen Wissenschaftlern diese Fachtagung durchführen zu können. Die Vorbereitungen sind mit hohem gegenseitigem Respekt und Wertschätzung abgelaufen. Das würde ich mir in katholischen Gremien auch manchmal wünschen.
Was sagen Sie zum Widerstand gegen die Tagung?
Bonelli: Ich bin erstaunt. Wir haben erzürnte Protestschreiben und sogar Drohanrufe bekommen. Da sind manche päpstlicher als der Papst. Benedikt XVI. sagt, dass er Erfurcht vor dem Islam hätte, dass er ihn als große religiöse Wirklichkeit anerkennt, mit der wir im Gespräch stehen müssen (Licht der Welt, Seite 123). Er meint im Zusammenhang mit dem Islam, dass heute „die Fronten anders verlaufen: [..] auf der einen Seite der radikale Säkularismus, auf der anderen Seite die Frage nach Gott“. Und noch ein Zitat aus diesem Buch: „Wichtig ist, das Gemeinsame zu finden und da, wo es geht, in dieser Welt einen gemeinsamen Dienst zu tun“. Also, da hinken so manche Eiferer deutlich nach…
Einer Ihrer Referenten, der Altabt von Heiligenkreuz Gregor Henckel von Donnersmarck, hat kürzlich in einem Interview gesagt, er hätte persönlich auch mit einer Moschee samt Minarett neben dem Stift Heiligenkreuz kein Problem. Wesentlich gefährlicher als der Islam sei der diktatorische Relativismus, der sich in Europa breitmache.
Bonelli: Ja, das ist auch der Grund, warum wir ihn eingeladen haben. Hier sieht man die Toleranz eines tief religiösen Menschen, die mir wirklich imponiert. Überhaupt habe ich die Erfahrung gemacht, dass Intoleranz oftmals mehr in Menschen verankert ist, die sich zwar ständig auf die Religion berufen, aber sie gar nicht so sehr selbst verinnerlicht haben. Der Altabt hat im selben Interview auch festgestellt, dass Islam nicht gleich Fundamentalismus ist. Hingegen gebe es einen Fundamentalismus, der sich auf den Islam berufe. Die Psychologie von Fanatismus und Fundamentalismus wird bei der Tagung auch analysiert. Für dieses Thema haben wir den Vorstand der Grazer Universitätsklinik für Psychotherapie gewonnen.
Was sind die der Islamophobie verwandten Phänomene in Ihrem Untertitel?
Bonelli: Christianophobie und religiöser Antisemitismus. Aggression aufgrund eines persönlichen Glaubens, eben. Das hat eine eigene Psychodynamik, die wissenschaftlich noch sehr wenig untersucht wurde. Die Christianophobie spüre ich persönlich häufig in Österreich. Das ist eine irrationale, unbegründbare und oft unbewußte Feindlichkeit, die einem eine Minderwertigkeit unterstellt, nur wenn man überzeugt katholisch ist. Ähnliche Reflexe werden mir von meinen freikirchlichen Freunden berichtet, aber auch von muslimischen Mitbürgern. Heutzutage wird meines Erachtens die religiöse Orientierung viel häufiger diskriminiert als z.B. die sexuelle.
Das ist ja genau Ihr Thema auf dieser Tagung, der antireligiöse Affekt …
Bonelli: Ja. Der Zeitgeist ist narzisstisch gekränkt, dass Gott nach wie vor nicht tot ist, wie Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert euphorisch verkündet hatte. Dass entgegen den mainstreamigen Verkündigungen weltweit immer mehr junge und gebildete Menschen sich einem transzendenten Prinzip unterordnen statt sich dem Zeitgeist willig zu unterwerfen. Damit sind sie aber durch diesen nicht mehr manipulierbar. Das mündet in einer irrationaler und oftmals unkontrollierten Aggression des modernen Menschen gegenüber den Gläubigen. In die Abwehr der Realität, dass jedem Menschen eine natürliche Religiosität innewohnt, investiert er viel Kraft, sodass diese Abwehrkräfte als antireligiöse Affekte wahrgenommen werden können.
Ist die „Islamophobie“ ein Krankheitsbild wie etwa die Agoraphobie?
Bonelli: Natürlich nicht. Aber es steht eine Psychodynamik dahinter, die ich vorhin skizziert habe und die uns aus psychotherapeutischer Sicht interessiert. Der Vortrag von Stephan Baier heißt auch „sogenannte Islamophobie“, damit unsere wissenschaftliche Tagung nicht politisch missbraucht werden kann. So manche zeitgeistige Wortneubildung, die mit -phobie endet, ist ein Totschlagargument, das mit einem Untergriff den kritischen Diskurs unterbinden will. Im übrigen haben uns genau unsere muslimischen Mitveranstalter darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Begriff umstritten ist. Wir haben uns trotzdem dafür entschieden, ihn hier zu verwenden.
Das Interview wurde im Internetmagazin kath.net veröffentlicht.