Askese | Raphael M. Bonelli https://seite.bonelli.tv Vorträge, Diskussionen, Interviews Tue, 28 Jul 2020 12:38:54 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.16 Verzichten, um zu gewinnen https://seite.bonelli.tv/verzichten-um-zu-gewinnen/ Tue, 13 May 2014 09:33:35 +0000 http://www.bonelli.tv/?p=1162 Bonelli, der das RPP-Institut 2007 als Plattform des interdisziplinären Austauschs zwischen der Welt des Glaubens und der Theologie einerseits und den Psycho-Wissenschaften auf der anderen Seite gegründet hat, riet zur Vorsicht bei der Pathologisierung von asketischen Formen und Fehlformen. Die Selbstkasteiung als freiwillige Entbehrung um eines höheren Gutes willen gebe es nicht nur im Christentum, […]

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Bonelli, der das RPP-Institut 2007 als Plattform des interdisziplinären Austauschs zwischen der Welt des Glaubens und der Theologie einerseits und den Psycho-Wissenschaften auf der anderen Seite gegründet hat, riet zur Vorsicht bei der Pathologisierung von asketischen Formen und Fehlformen. Die Selbstkasteiung als freiwillige Entbehrung um eines höheren Gutes willen gebe es nicht nur im Christentum, sondern auch etwa im Buddhismus. Die Grenze zur psychopathologisch krankhaften Askese zeigte Bonelli mit Bildern von Extremformen der Nahrungsaskese, der autodestruktiven Gewalt und der Selbstbeschädigung. Sein Fazit: „Es gibt ein Zuviel an Askese, aber das Hauptproblem unserer Zeit ist ein Zuwenig an Askese.“ Die Folge dieses „Zuwenig“ sei der Kontrollverlust, etwa im Kaufzwang oder in der Internetsucht. Um das Leben in den Griff zu bekommen, brauche es das richtige Maß.

Bonelli zitierte den Philosophen Josef Pieper: „Mäßigung heißt, in sich selbst Ordnung verwirklichen.“ Dies eben sei das Ziel der Askese: Ordnung in den eigenen Emotionen, Gedanken, Beziehungen, Werten, Prioritäten herzustellen. Ohne Freiheit gebe es keine echte Askese, aber ohne Askese auch keine innere Freiheit. „Die beiden bedingen sich gegenseitig“, so Raphael Bonelli. Die pathologische Askese sei unfrei, und damit keine wirkliche Askese.

Der gesamte Artikel der deutschen Tagespost kann hier nachgelesen werden.

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Was wir tun können https://seite.bonelli.tv/was-wir-tun-koennen/ Thu, 24 Apr 2014 09:13:52 +0000 http://www.bonelli.tv/?p=1151 Der Sonntag: Was meint Askese im eigentlichen Sinn? Bonelli: Askese bezeichnet seit der griechischen Antike eine Übungspraxis im Rahmen von Selbstschulung aus verschiedenster Motivation. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das durch Bemühung mehr er selbst werden kann – und durch Sich-Gehen-Lassen sich selbst immer mehr verliert. Den psychologischen Hintergrund dieses Phänomens nennt man die […]

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Der Sonntag: Was meint Askese im eigentlichen Sinn?

Bonelli: Askese bezeichnet seit der griechischen Antike eine Übungspraxis im Rahmen von Selbstschulung aus verschiedenster Motivation. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das durch Bemühung mehr er selbst werden kann – und durch Sich-Gehen-Lassen sich selbst immer mehr verliert. Den psychologischen Hintergrund dieses Phänomens nennt man die „Fähigkeit zur Selbstprägung“: nicht nur die Gene und die Umgebung prägen eine Persönlichkeit, auch der Mensch selbst hat die Freiheit, sich selbst zu verändern, an sich zu arbeiten. Das nennt man Charakterbildung.

Der Mensch kann „etwas aus sich machen“ – oder eben nicht. Die persönliche Bemühung mit dem Ziel, besser zu werden, führt dazu, dass der menschliche Geist freier wird und sich Höherem widmen kann: dem Schönen, dem Wahren, dem Guten. Oder er kann andererseits mehr und mehr verrohen und verkommen – dann ist ihm schon die kleinste Anstrengung zu mühsam und der leiseste Gedanke zu lästig. Dieses mühevolle An-Sich-Arbeiten nennt man Askese, das im idealen Fall zur Mystik – zur Vereinigung mit Gott – führen kann.

Der Mensch besteht aus Bauch, Kopf und Herz. Was macht den „Bauch“ aus?

Bonelli: Der Bauch steht bildhaft für Emotionen, Leidenschaften und Gefühle. Heute sagt man dazu gerne „Bedürfnisse“. Bauchgefühle sind moralisch weder gut noch schlecht. Sie denken und urteilen auch nicht, sind einfach eine physiologische Realität im Menschen. Ihr Prinzip ist die Lustmaximierung und Unlustvermeidung.

Wofür steht der „Kopf“?

Bonelli: Der Kopf steht für die Vernunft. Sein Koordinatensystem ist die Logik und die Nützlichkeit. Er versucht, die Wirklichkeit zu erklären, Probleme zu analysieren und Lösungen zu erarbeiten. Er erkundet, wie die Dinge wirklich sind. Der Kopf hat die Aufgabe, das Begehren und die Bedürfnisse des Bauches vernünftig zu prüfen. Er ist aber abhängig vom Herzen. Wenn diese höhere Instanz nicht integer ist, so werden alle Anträge des Bauches am arbeitslosen Kopf vorbeigeschwindelt und ungefiltert durchgelassen – die guten wie die schlechten. Dann wäre der arme „kopflose“ Mensch hilflos seinen momentanen Launen, Emotionen und Leidenschaften ausgeliefert. Wie eine Nussschale im Meer treibt es ihn richtungslos mal hierhin, mal dahin.

Was bleibt dann „noch“ für das „Herz“?

Bonelli: Das Herz ist die oberste Instanz, die Entscheidungsmitte des Menschen, das Freiheitsorgan. Es beinhaltet den Willen und das Gewissen. Das Herz macht den Menschen aus, denn es klopft sowohl Bauchgefühle wie auch Kopfideen auf Gut und Böse ab. Das Herz gibt vor, was langfristig anzustreben ist. Der Kopf prüft daraufhin aufgrund seiner Logik und Vernunft, ob die Richtung, in die der Bauch – oder die Umwelt – zieht und drängt, das angestrebte Ziel erreicht lässt oder ob eine Korrektur notwendig ist.
Das Herz ist der Ort der persönlichen Entscheidung, der großherzigen Selbstlosigkeit und des kleinherzigen Egoismus – und damit auch der Schuld. In der Bibel lesen wir, dass die Sünde im Herzen beginnt. Und dass das Herz andererseits der Ort ist, mit dem wir beten.

Das Interview wurde in der Wochenzeitung der Erzdiözese Wien Der Sonntag veröffentlicht.

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Askese – mühsam, aber sinnvoll https://seite.bonelli.tv/askese-muehsam-aber-sinnvoll/ Sat, 15 Mar 2014 09:09:41 +0000 http://www.bonelli.tv/?p=1149 Askese – klingt ab­schreckend, nach  zwanghafter Verordnung unsinniger Entbehrungen. Im Folgenden zeigt der Autor, dass eine aske­tische Haltung wesentlich für die persönliche Entfaltung ist, damit der Mensch nicht primär triebgesteuert agiert. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das durch Bemühung mehr es selbst werden kann – und durch Sich-Gehen-Lassen sich selbst immer mehr verliert. Den […]

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Askese – klingt ab­schreckend, nach  zwanghafter Verordnung unsinniger Entbehrungen. Im Folgenden zeigt der Autor, dass eine aske­tische Haltung wesentlich für die persönliche Entfaltung ist, damit der Mensch nicht primär triebgesteuert agiert.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das durch Bemühung mehr es selbst werden kann – und durch Sich-Gehen-Lassen sich selbst immer mehr verliert. Den psychologischen Hintergrund dieses Phänomens nennt man die „Fähigkeit zur Selbstprägung“: Nicht nur die Umgebung prägt eine Persönlichkeit, auch der Mensch selbst hat die Freiheit, sich selbst zu verändern, an sich zu arbeiten. Das nennt man Charakterbildung.

Die persönliche Bemühung mit dem Ziel, besser zu werden, führt dazu, dass der Geist freier wird und sich Höherem widmen kann: dem Schönen, dem Wahren, dem Guten. Oder er kann mehr und mehr versumpern, verrohen, verkommen. Dann ist ihm schon die kleinste Anstrengung zu mühsam und der leiseste Gedanke zu lästig. Dieses mühevolle An-Sich-Arbeiten nennt man Askese. Es kann im idealen Fall zur Mystik – zur Vereinigung mit Gott – führen.

Warum ist diese Mühe notwendig? Weil der Mensch aus Bauch, Kopf und Herz besteht. Fangen wir unten an, beim Bauch: Er steht bildhaft für Emotionen, Leidenschaften und Gefühle. Heute sagt man dazu gerne „Bedürfnisse“. Bei Sigmund Freud wäre das in etwa das „Es“. Bauchgefühle sind moralisch weder gut noch schlecht. Sie sind einfach eine physiologische Realität. Manche sind mehr, andere weniger praktisch für das menschliche Zusammenleben.

Das Prinzip des Bauches ist die Lustmaximierung und Unlustvermeidung. Das Hungergefühl und der Sexualtrieb sind genauso Bauchgefühle wie Hass, Abneigung und Angst oder auch die mütterlichen Instinkte bei der Frau und ritterliche Impulse – die Schwachen zu schützen – beim Mann.

Sie alle benötigen Kontrollinstanzen. Denn ohne diese Bremse würde die menschliche Entfaltung nicht möglich sein. „Die Leidenschaften sind an sich weder gut noch böse“, lesen wir im Katechismus, „sie sind sittlich gut, wenn sie zu einer guten Handlung beitragen und schlecht, wenn das Gegenteil der Fall ist.“ Bauchgefühle werden laut kirchlicher Lehre in dem Maß sittlich bestimmt, als sie der Vernunft (Kopf) und dem Willen (Herz) unterstehen.

Der Kopf steht für die Vernunft. Sein Koordinatensystem sind Logik und Nützlichkeit. Er versucht, die Wirklichkeit zu erklären, Probleme zu analysieren, Lösungen zu erarbeiten. Er erkundet, wie die Dinge wirklich sind. Der Kopf sollte – bei entsprechender Regulierung durch das Herz – das Begehren und die Bedürfnisse des Bauches vernünftig prüfen. Wie ein neutraler Beamter, der einen Antrag prüft. Je objektiver der Beamte, umso besser für den Staat. Der Beamte ist aber abhängig von seiner vorgesetzten Behörde – dem Herzen. Wenn diese höhere Instanz nicht integer ist, werden alle Anträge des Bauches am arbeitslosen Kopf vorbeigeschwindelt und ungefiltert durchgelassen – die guten wie die schlechten. Dann wäre der arme „kopflose“ Mensch hilflos seinen momentanen Launen, Emotionen und Leidenschaften ausgeliefert.

Der arme kleine Beamte – der von der atheistischen Aufklärung maßlos überschätzt und sogar zur „Göttin Vernunft“ stilisierst wurde – kann aber sogar gezwungen werden, „Gefälligkeitsgutachten“ abzugeben: Die Vernunft konstruiert mehr oder weniger schlaue Gegenargumente, um sich nicht mit der Wahrheit beschäftigen zu müssen. Wir kennen das, wenn zum Beispiel Menschen mit subjektiver Gewissheit behaupten, das Baby im Leib der Mutter sei nur ein zufälliger Zellhaufen, den man nach Belieben „wegmachen“ könne. Da merkt man, dass ein Wille dahinter steht und die Erkenntnis verdunkelt, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“.

Die oberste Instanz ist das Herz, die Entscheidungsmitte des Menschen, das Freiheitsorgan. Es beinhaltet den Willen und das Gewissen. Das Herz macht den Menschen aus, es muss zwischen Gut und Böse unterscheiden.
Das Herz gibt vor, was langfristig anzustreben ist. Der Kopf prüft daraufhin aufgrund seiner Logik und Vernunft, ob die Richtung, in die der Bauch  oder die Umwelt ziehen, das angestrebte Ziel erreichen lassen oder ob eine Korrektur notwendig ist. Das Herz ist der Ort der persönlichen Entscheidung, der großherzigen Selbstlosigkeit und des kleinherzigen Egoismus – und damit auch der Schuld. In der Bibel lesen wir, dass die Sünde im Herzen beginnt. Und dass das Herz andererseits der Ort ist, mit dem wir beten. Das Herz ist einerseits stark oder schwach – andererseits gut oder böse. Man kann etwa mit einem starken Willen das Böse wollen oder zum Beispiel mit schwachem Willen das Gute.

Und was ist jetzt Askese? Einer meiner Patienten, ein 45-jähriger Mann, ist zu mir gekommen wegen fehlender Askese: er hat sein Leben nicht (mehr) im Griff. Fernsehen ohne Ende, Essen nach Belieben, Internetporno, anonyme Sexualkontakte, in den Tag hinein schlafen  – und seine reiche Frau finanziert das alles. Aber glücklich ist er nicht. Er will nicht unbedingt das Böse, er will sich nur nicht anstrengen. So ist er in all das hineingeschlittert. Was für ein trauriges Leben! Er hat ein gutes, aber schwaches Herz, das dem Bauch nichts entgegenzusetzen hat.

Askese ist Herzens­training, eine schmerzhafte aber sinnvolle Übung, die dem Bauchprinzip „Lustmaximierung und Unlustvermeidung“ entgegengesetzt ist. Sie lässt das Herz freier von den Bedrängungen des Bauches werden. Es kann sich so besser für das Gute entscheiden. Denn richtig motivierte Askese ist kurzfristig unlustig, mittelfristig aber sinnvoll und langfristig gut.

Askese als Selbstdiszipinierung. Dazu gehört einerseits „positiv“ das beharrliche Ein­üben der angestrebten Tugend oder Fähigkeit, andererseits „negativ“ das Vermeiden von allem, was der Erreichung seines Ziels im Wege steht. Askese macht so den Menschen frei für das Große, für das er gemacht ist.

Zudem kann Askese zum Gebet werden, aus Liebe zu Gott – als Gebet der Sinne. Wie viele Menschen sind schon durch Fasten Gott näher gekommen! Die asketische Schulung beinhaltet auch die Disziplinierung des Denkens: die Abkehr von eingefahrenen Denkweisen der Umgebung, somit die mögliche Öffnung für die Realität. Der klarere Blick für das Geschehen.
Askese ist spezifisch menschlich. Tiere kennen so etwas wie Askese nicht, weil sie unfrei und ihren Instinkten ausgeliefert sind. Aber auch die Engel brauchen keine Askese, denn sie sind reine Geistwesen und haben daher keine Bauchgefühle. Zur Mystik kommt der Engel deswegen ohne Anstrengung, der Mensch (neben der Gnade) durch Askese. Der Katechismus sagt: „Es gibt keine Heiligkeit ohne Entsagung und Kampf. Der geistliche Fortschritt verlangt Askese, die stufenweise dazu führt, im Frieden und in der Freude der Seligpreisungen zu leben.“ Richtig verstandene Askese bringt also Frieden und Freude, sie ist keine sinnlose Selbstquälerei eines masochistischen Psychopathen.

Aber Askese darf kein Selbstzweck werden. Wird sie zur Selbstbefriedigung – dass man also anfängt, die eigene Macht über den Körper zu genießen – so wird es gefährlich. Es ist immer die Frage, wie Askese motiviert ist: ichhaft oder selbstlos. Auch Mädchen, die nichts mehr essen und in eine Magersucht schlittern, sind asketisch – aber aus falschen, krankhaften Motiven, die sie bis zur Selbstschädigung treiben. Daher hat die Kirche immer geraten, dass Askese im Gehorsam geschieht, damit ein vernünftiger Supervisor den Zweck der Übung im Auge behält und fanatischen Übereifer bremst.

Askese ist oft nützlich, aber deswegen nicht automatisch gut. Viele Religionen und Ideologien sind asketisch, weil man so viel mehr erreichen kann. Sogar die mörderischen SS-Schergen der Nazis waren „diszipliniert“. Denn Askese macht das Herz stärker, aber nicht notwendigerweise besser.

Askese ist nur ein Mittel zum Zweck für ein höheres Ziel – zum Zweck der Herzensstärkung. Je stärker das Herz, umso klarer kann es sich auf Gott ausrichten. Wenn ein starkes Herz regiert und das Gute will, so harmonieren mit der Zeit auch Kopfideen und Bauchgefühle mit ihm. Das ist dann der Zustand der Tugend: die Leichtigkeit im Tun des Guten. Je stärker das Herz, umso größer die Tugend. Askese ist der Weg dazu.

Der Artikel wurde in der Ausgabe 2/2014 der Zeitschrift VISION 2000 veröffentlicht.

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